Dienstag, 6. November 2007

Die Tango Tänzerin

Schon den ganzen Tag denkt sie an fast nichts mehr anderes, als dass sie am Abend wieder Tango tanzen wird.
Sie überlegt zwischendurch, was sie anziehen könnte. Dann schweifen ihre Gedanken zuweilen zum einen oder anderen Tänzer.
Ob Er wohl auch kommen wird?
Dann ist es soweit, die Nacht senkt sich und in ihrer Magengrube fangen die Ameisen an ihr Nest zu bauen.
Nun hat sie das schon so oft gemacht und doch spürt sie jedes Mal diese leichte Ungeduld, dieses Entzücken, dieses Zittern.
Beim Eintreten in das Gebäude hört sie schon etwas verklärt die Tango Musik und spürt, wie Lust und Freude hoch kommen: „endlich da“.
Sie tritt ein, ein sanftes Lächeln im Gesicht und lässt ihren Blick durch den Raum schweifen.
Auf der Tanzfläche bewegen sich schon einige Paare im Rhythmus der Musik, ganz ineinander versunken.
Es sind auch bekannte Gesichter dabei, sie fühlt sich geborgen.
Küsschen rechts, Küsschen links, wie geht es so?
In dieser Oase sind alle gut gelaunt und haben Spaß.
Sie sucht sich einen Platz und fängt an die Tangoschuhe an zuziehen.
Dabei wirft sie ein paar verstohlene Blicke in die Runde, sie kann ihn noch nicht entdecken.
Aber die Lust gleich zu tanzen ist größer, als die kleine Enttäuschung darüber.
Sie holt sich noch ein Glas Wein an der Bar und überlegt gerade wo sie sich nieder lassen soll, da kommt er ihr entgegen:
„darf ich bitten?“ Ein Schauer durchläuft sie und sie ist stumm vor Freude. Sie nickt lächelnd und folgt ihm auf die Tanzfläche. Sie bleiben kurz voreinander stehen, halten einen Augenblick inne, dann heben sich die Arme wie von alleine in die Umarmung ihrer Körper.
Der erste Augenblick des Tanzes ist immer wie der erste Schluck nach lange erlittenem Durst.
Die Seele möchte aufatmen um sich dann wehrlos an seiner Brust nieder zu lassen.
Die Bewegungen sind im Einklang, die Körper Sehnsuchtvoll zusammengeleimt, die Füße verknotet.
Sie sind verbunden durch diese Lust, die sie durch jeden Schritt zum Ausdruck bringen, die sie beide spüren wenn das Bandoneon klagt.
Dann ist die Musik zu Ende. Die Zeit steht still, sie gehen auseinander,
lächeln sich zaghaft an, als wäre es unangenehm, sich nach so viel Nähe in die Augen zu schauen, um dann beim Einsetzten der Musik erneut aufeinander zu gehen.
Immer und immer wieder geben sie sich dem Zauber der Musik hin. Sie schließt die Augen und bewegt sich schwebend, wie eine Welle, die, angetrieben von einer unsichtbaren Kraft sprudelt, schäumt sich überschlägt oder sanft gleitet.
Die Körper fangen an zu dampfen, der Schweiß rinnt, ihr Rock schwingt hin und her, das Bein fliegt. Die Körper entfernen sich voneinander in der nächsten Drehung, wie um festzustellen, dass man auch wirklich miteinander tanzt, um aus dem entstandenen Abstand wieder aufeinander zugehen zu können.
Ihre Füße fangen an zu schmerzen, aber sie ignoriert es. Die Kehle ist ganz trocken, sie könnte jetzt sowieso nichts sagen. Zwischendurch ein Lächeln…und Schweiß von der Stirn gewischt. Als sich nach mehreren Runden eine leichte Ermattung anfängt spürbar zu machen, weiß sie,
es ist gleich zu Ende.
Noch ein kurzes lächeln: „vielen Dank“, und schon geht jeder in eine andere Richtung.
Berauscht und glücklich setzt sie sich, die Seele ist noch irgendwo in der Mitte der Tanzfläche und weht da wie ein seidener Vorhang im Wind hin und her.
Der Abend wird noch lang, sie hofft auf ein paar weitere Tänze mit ihm; manchmal kommt sie noch in diesen Genuss, manchmal auch nicht.
Ihr Weinglas ist inzwischen leer und ihr Körper voller Euphorie. Sie zieht ihre Schuhe aus und kann ihre Fußsohlen nicht mehr spüren…
Später, wenn sie dann im Bett liegt tanzt sie noch lange mit ihm – in Gedanken.