Donnerstag, 29. November 2007

Danach

Es ist sehr spät geworden. Sie steht an ihrem Fenster und schaut in die Dunkelheit hinaus.
In der Ferne zwischen den Dächern sieht man einen ganz schmalen Streifen, der die Finsternis von der Mitte aus zu teilen anfängt.
Sie sollte sich hin legen und wenigstens die paar Stunden bis zum Morgen versuchen zu schlafen, aber dieses Sausen in ihrem Kopf hält sie wach.
Immer noch ist sie umhüllt von dem Gefühl des Tanzes. Es streift ihre Sinne wie der Wind die Blätter eines Baumes streift und sie dadurch zum Rascheln bringt. Sie möchte es so gerne ausschalten und zur Ruhe kommen.
Ihre Gedanken kreisen unaufhörlich und lassen immer wieder die Blicke, die Bewegung, die Berührungen wach werden. Es ist wie bei einer dieser alten Langspielplatten, die einen Kratzer haben: die Nadel springt immer wieder an die gleiche Stelle zurück und spielt das gleiche Fragment noch ein Mal und noch ein Mal...
Ihre Augen brennen vor Müdigkeit, sie reibt sie, als wenn sie hoffte, damit diese Bilder weg wischen zu können. Sie fühlt sich wie ein zu voll gelaufenes Becken...
Eigentlich wollte sie unaufhörlich weiter tanzen, aber der Tango ist zu Ende und mit jedem Atemzug verlässt er sie ein wenig mehr. Er hinterlässt nur dieses trügerische Gefühl, von dem sie so ausgefüllt und aufgewühlt ist.
Noch ist sie in diesem Moment gar nicht in der Lage zu spüren, dass er, der Tango auch wieder kommen wird, wenn seine Zeit wieder da ist.
Sie lehnt die Stirn an die Scheibe, ihre harte Kühle tut gut. Der Streifen hinter den Dächern wird langsam breiter.
Die gleiche Melodie erklingt immer noch in ihrem Kopf, sie summt sie mit geschlossenen Augen leise vor sich hin. Und da ist sie wieder diese Sehnsucht...
Die Augen füllen sich mit Tränen und überschwemmen sie.
Erschöpft lässt sie sich auf das Bett fallen, die Müdigkeit verlangt ihren Tribut.
Es ist der gleiche Ablauf jedes Mal. Erst ist da ein ganzes Meer von Empfindungen, die in ihr wachgerufen sind. Sie weiß, sie sollte sie nicht mit nach Hause nehmen, denn sie gehören dem Tango. Aber es gelingt ihr noch nicht. Sie drängen sich noch zwischen ihre Kissen und Decken, machen sich breit auf ihrem Teppich in ihrer Küche, in ihrer Mitte. Der Tango ist mitgekommen, hat sich an ihr festgeklemmt, hält sie eng umschlungen, wie die Arme, die sie durch die Nacht geführt haben. Sie spürt sie immer noch...
Selbst nach ein paar Stunden gequälten Schlaf sind sie noch da. All die Gedanken, die für kurze Zeit stumm waren, springen unter dem Kissen und dem Laken hervor und umkreisen sie erneut, als hätten sie nur darauf gelauert, dass sie die Augen endlich wieder öffnet.
Sie hatte gehofft, dass das Tageslicht die verklärten Gedanken vertreiben wird und diese Fülle von Gefühlen zum Schweigen bringen wird.
Es wird ein paar Stunden, vielleicht auch Tage dauern bis sie wieder ankommt im Leben außerhalb des Tangos. Dann kommt die Leere und Stille, wie an einem von der Flut verlassenen Strand.
Aber er wird sie wieder einfangen, sobald sie ihm die Türe öffnet, denn sie wird ihn wieder suchen um ihn erneut einzuatmen.

Die Sonne steht inzwischen schon über den Dächern und verbreitet eine angenehme Wärme. Es ist ein schöner Sommertag.