Sonntag, 6. Januar 2008

Die Erfüllung

Sie brauchte das, es war wie ihr Lebenselixier. Wenn die Männer sie umschwärmten, und verrückt nach ihr waren, fühlte sie sich wohl, wie ein Fisch im Wasser. Sie setzte ihren ganzen Charme ein, und davon hatte sie weiß Gott eine Menge, um an ihr Ziel zu gelangen.
Aber manchmal musste sie gar nicht viel tun, da lief ihr ein Mann sogar hinterher, wie der, den sie vor etwa einem halben Jahr im Café gesehen hatte. Er hatte einen unglaublich traurigen Blick gehabt.
Sie hatte sich da mit einer Freundin verabredet, um dann gemeinsam zur milonga zu gehen. Aber die Freundin war nicht gekommen. Als sie dann seinen Blick dann nicht mehr aushalten konnte, war sie fluchtartig davon geeilt. Er war ihr sogar bis ins "El Paso" gefolgt. Offensichtlich hatte er Argentinischen Tango noch nie davor gesehen, das hatte sie an seinem überraschten Gesicht sehen können.
Danach war er wie vom Erdboden verschwunden.
Bis zu dem einen Abend vor etwa einem Monat.
Sie war etwas früher ins "El Paso" gekommen und hatte ihn gleich hinten an einem Tisch sitzen sehen. Sie hatte schon fast nicht mehr an ihn gedacht, aber seinen Blick hatte sie sofort wieder erkannt. Natürlich stellte sie sich die Frage, was er da machte. Dann sah sie, dass er Tango Schuhe an hat. Sie sahen noch recht neu aus. Lernte er jetzt auch den Tango? An diesem ersten Abend bekam sie keine Antwort darauf.
Sie spürte nur, wie er sie beim Tanzen beobachtete, wie er sie fast verschlang mit seinem Blick.
Daran sollte sich auch die nächsten Male nicht viel ändern, bloß dass er dann angefangen hatte zu tanzen. Neugierig sah sie zu ihm hin, er konnte zwar noch nicht viel, aber es sah sehr geschmeidig aus und man konnte sehen wie er die Musik in sich aufsog.
Jeden Freitag war er da gewesen und mit jedem Mal wurde ihr Wunsch größer, das Geheimnis dieses Mannes zu erforschen. Aber er musste den ersten Schritt tun, das stand für sie außer Frage. Sie konnte ihm nur mit ihrem Blick zu verstehen geben, dass sie das auch wünscht.
Nun war schon über ein Monat seit jenem ersten Abend vergangen. Sie hatte schon einige Runden mit ein paar ihrer treuesten Anhänger getanzt, saß auf ihrem Platz und fächerte sich Luft zu.
Ihr Blick wanderte wieder durch den Saal, hinüber zu ihm und traf den Seinen. Fast schon wollte sie wieder weg schauen, in Erwartung dessen, was bis jetzt jedes Mal stattfand, nämlich dass er seinen Blick von ihr weg wendete. Da sah sie ihn plötzlich aufstehen, sein Blick immer noch auf sie gerichtet und auf sie zu kommen. Sie wollte es sich nicht so gerne eingestehen, aber ein Freudenschauer durchschwämmte sie. Sie durfte das auf keinen Fall zeigen, versuchte ganz unbefangen mit ihrem Nachbarn zu plaudern, konnte aber im Augenwinkel sehen, wie er sich näherte und vor ihr stehen blieb. Sie sah ihn an und musste lächeln als er sie etwas unbeholfen fragte, ob sie Lust hätte mit ihm zu tanzen. Natürlich hatte sie Lust! sie fragte sich nur, warum er nicht eher gekommen war, denn sie hatte sich nicht getäuscht. Seine Bewegung fühlte sich tatsächlich geschmeidig an und seine Umarmung war sehr angenehm. Sie lehnte sich an ihn und wusste schon nach den ersten Schritten, dass es ihr nicht schwer fallen wird sich hinzugeben, diesen Tango voll auszuleben und einzutauchen in seine Welt.
Und noch viele weitere Tangos.
Zum Einen keimte ein großes Glücksgefühl in ihr, zum Anderen fühlte sie, dass sie in Gefahr war. Denn dieses eine Mal könnte sie den Boden unter den Füßen verlieren.